Kanzler Scholz und die gescheiterte Abschiebeinitiative

August 27, 2024
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Eine Bilanz voller Versäumnisse

Die Asylpolitik der Bundesregierung steht erneut im Zentrum der Kritik, ausgelöst durch die tragischen Ereignisse in Solingen. Dort tötete ein Messerangreifer drei Menschen und verletzte acht weitere schwer. Der mutmaßliche Täter, Issa al-Hassan, ein abgelehnter Asylbewerber, hätte längst abgeschoben sein sollen, doch wie in vielen anderen Fällen gelang dies nicht. Dieser Vorfall wirft ein grelles Licht auf die Unzulänglichkeiten und Versäumnisse der deutschen Abschiebepolitik – und auf die nicht eingelösten Versprechen von Bundeskanzler Olaf Scholz.

Der Fall Issa al-Hassan: Ein typisches Beispiel für ein gescheitertes System

Issa al-Hassan kam 2022 nach Deutschland, ein Jahr später sollte er nach Bulgarien abgeschoben werden, dem Land, das gemäß den Dublin-Regeln für sein Asylverfahren zuständig war. Doch trotz optimaler Bedingungen scheiterte die Abschiebung. Die Behörden unternahmen im Juni 2023 einen Abschiebeversuch, aber al-Hassan war in seiner Unterkunft in Paderborn nicht auffindbar. Dies war der einzige Versuch, und nachdem eine wichtige Frist verstrichen war, übernahm Deutschland die Zuständigkeit für ihn. Ende 2023 erhielt al-Hassan subsidiären Schutzstatus. Ein Mann, der abgeschoben werden sollte, erhielt in wenigen Monaten die Erlaubnis, dauerhaft in Deutschland zu bleiben.

Solingen: ein weiterer Messermord. Was muss noch alles geschehen?

Dieser Fall ist keineswegs eine Ausnahme, sondern symptomatisch für die generellen Schwächen der deutschen Abschiebepraxis. Im Jahr 2023 waren 242.642 Ausländer in Deutschland ausreisepflichtig, davon hatten 193.972 Personen eine Duldung. Von den verbleibenden 48.670 Personen, die das Land verlassen sollten, gelang es nur bei etwa 16.400, die Abschiebung tatsächlich durchzuführen. Die restlichen 31.330 Abschiebungen scheiterten. Das heißt, fast zwei von drei geplanten Abschiebungen blieben erfolglos – ein erschütterndes Zeugnis für die Wirksamkeit der geltenden Gesetze und Maßnahmen.

Systematische Versäumnisse: Vorwarnungen und bürokratische Hürden

Die Ursachen für das Scheitern der Abschiebungen sind vielfältig und teilweise alarmierend. Einer der Hauptgründe ist die Vorwarnung der betroffenen Personen vor einer anstehenden Abschiebung. Wie Benjamin Jendro, Sprecher der Polizeigewerkschaft GdP in Berlin, gegenüber t-online erklärt, werden Asylbewerber häufig vor einer Abschiebung gewarnt: „Asylbewerber werden oft vorher vor Abschiebungen gewarnt.“ Diese Warnungen verbreiten sich vor allem über soziale Medien, insbesondere über die Plattform X (ehemals Twitter). Oft wissen die Betroffenen schon eine Woche im Voraus, dass ein Massencharterflug in ihr Heimatland geplant ist, und können entsprechend untertauchen.

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Ein weiteres gravierendes Problem sind kurzfristige Absagen von Charterflügen. Laut den Zahlen der Bundesregierung kam es 2023 in 15.798 Fällen zu einer „Stornierung des Ersuchens“, was oft auf eine fehlende Landeerlaubnis oder die kurzfristige Weigerung des Ziellandes zurückzuführen ist. Hinzu kommen Fälle, in denen die abzuschiebenden Personen einfach nicht angetroffen werden – wie im Fall von Issa al-Hassan. 2023 waren dies insgesamt 14.011 Fälle.

Diese Zahlen offenbaren ein systemisches Versagen. Die Behörden sind oft nicht in der Lage, Abschiebungen effektiv durchzuführen, und die betroffenen Personen nutzen die Schwächen des Systems aus, um in Deutschland zu bleiben.

Gesetzesreformen: Eine enttäuschende Bilanz

Angesichts dieser massiven Probleme versprach Bundeskanzler Olaf Scholz im Herbst 2023 eine „große Abschiebeinitiative“. Ziel war es, durch eine Reihe von Gesetzesänderungen die Zahl der Abschiebungen deutlich zu erhöhen. Im Januar 2024 trat das „Rückführungsverbesserungsgesetz“ in Kraft, das den Behörden mehr Rechte einräumen und die Abschiebepraxis verschärfen sollte. So wurden beispielsweise die Durchsuchungsbefugnisse der Polizei erweitert, und der Ausreisegewahrsam wurde von zehn auf 28 Tage verlängert.

Doch die bisherige Bilanz dieses Gesetzes ist enttäuschend. Im ersten Halbjahr 2024 wurden zwar 9.465 Abschiebungen erfolgreich durchgeführt, aber gleichzeitig scheiterten 14.601 Abschiebungen – eine Zahl, die schon zur Jahresmitte fast das Niveau des gesamten Vorjahres erreicht. Besonders auffällig ist, dass der Anteil der sogenannten „nicht erfolgten Zuführungen“, bei denen die Betroffenen nicht angetroffen werden, im Vergleich zu 2023 sogar zugenommen hat. Dies deutet darauf hin, dass die Maßnahmen zur Abschreckung und zur Verbesserung der Abschiebequote weitgehend wirkungslos geblieben sind.

Die großen Versprechen des Kanzlers – und die ernüchternde Realität

Bundeskanzler Olaf Scholz hatte im vergangenen Jahr groß angekündigt, dass Deutschland endlich in der Lage sein würde, in „großem Stil abzuschieben“. Doch die Realität sieht anders aus. Die Abschiebequote ist nach wie vor enttäuschend niedrig, und das Verhältnis zwischen erfolgreichen und gescheiterten Abschiebungen bleibt weiterhin problematisch. Im ersten Halbjahr 2024 liegt dieses Verhältnis bei etwa 1 zu 1,5, was eine leichte Verbesserung im Vergleich zu 2023 darstellt, aber weit hinter den Erwartungen zurückbleibt.

Die jüngsten Zahlen und Entwicklungen machen deutlich, dass die Abschiebeinitiative der Bundesregierung bisher weitgehend gescheitert ist. Trotz verschärfter Gesetze und erweiterter Befugnisse für die Polizei bleibt die Umsetzung mangelhaft. Die Versäumnisse sind systemisch, und es ist fraglich, ob die bisherigen Maßnahmen ausreichen, um die Abschiebequote signifikant zu erhöhen.

Eine Politik der leeren Versprechungen

Der Fall Issa al-Hassan und die neuesten Abschiebezahlen zeichnen ein düsteres Bild der deutschen Asylpolitik. Trotz der vollmundigen Versprechen von Kanzler Scholz bleibt die Realität weit hinter den Erwartungen zurück. Die Abschiebeinitiative, die als ein großer Schritt hin zu einer strengeren Asylpolitik angekündigt wurde, erweist sich in der Praxis als ineffektiv. Die Zahlen sprechen eine klare Sprache: Es gibt zwar mehr Abschiebungen, doch die Zahl der gescheiterten Versuche bleibt erschreckend hoch.

Die Bundesregierung muss sich der harten Realität stellen und erkennen, dass die bisherigen Maßnahmen nicht ausreichen. Eine umfassende Reform der Abschiebepraxis ist dringend erforderlich, um das Vertrauen der Bevölkerung in die Asylpolitik wiederherzustellen und die Einhaltung geltender Gesetze sicherzustellen. Solange dies nicht geschieht, wird die Abschiebepolitik in Deutschland weiterhin von Versäumnissen und leeren Versprechungen geprägt sein.

Wer trägt die Verantwortung?

Die Verantwortung für das Scheitern der Abschiebeinitiative in Deutschland ist vielschichtig und verteilt sich auf mehrere Ebenen des politischen und administrativen Apparats. Zunächst einmal liegt die politische Hauptverantwortung bei der Bundesregierung und insbesondere bei Bundeskanzler Olaf Scholz. Er hat die große Abschiebeinitiative angekündigt und damit Erwartungen geweckt, die bislang nicht erfüllt wurden. Scholz’ Versprechen, in „großem Stil abzuschieben“, bleibt bislang unerfüllt, was auf unzureichende politische Führung und möglicherweise auf fehlerhafte Strategien hinweist.

Bundeskanzler Olaf Scholz

Bundesinnenministerium und Innenministerin Nancy Faeser

Eine zentrale Rolle spielt auch das Bundesinnenministerium unter der Leitung von Innenministerin Nancy Faeser. Das Ministerium ist für die Ausgestaltung und Umsetzung der Asyl- und Abschiebepolitik verantwortlich. Die Einführung des „Rückführungsverbesserungsgesetzes“ war ein Versuch, die Abschiebepraxis zu verschärfen, doch die bisherigen Ergebnisse zeigen, dass diese Maßnahmen nicht ausreichend sind. Ministerin Faeser trägt die Verantwortung dafür, dass die Gesetze effektiv umgesetzt werden und dass die Behörden in die Lage versetzt werden, Abschiebungen konsequent durchzuführen.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser

Länder und Kommunen: Die Umsetzungsverantwortung

Ein erheblicher Teil der Verantwortung liegt auch bei den Bundesländern und den kommunalen Behörden, die für die praktische Durchführung der Abschiebungen zuständig sind. Die Ausländerbehörden vor Ort spielen eine entscheidende Rolle, wenn es darum geht, Abschiebungen zu organisieren und durchzuführen. Die Zahlen zeigen jedoch, dass es hier massive Probleme gibt: Oftmals werden Abschiebetermine verpasst oder die betroffenen Personen sind zum Zeitpunkt der Abschiebung nicht auffindbar. Diese operativen Versäumnisse deuten auf organisatorische Schwächen und möglicherweise auch auf mangelnde Koordination zwischen den Behörden hin.

Polizei und Sicherheitsbehörden

Auch die Polizei und die Bundespolizei sind in die Verantwortung einzubeziehen. Sie sind für die Durchführung der Abschiebungen verantwortlich und stehen vor der Herausforderung, die betroffenen Personen in den Unterkünften anzutreffen und sicher zum Flughafen oder zur Grenze zu bringen. Benjamin Jendro von der Polizeigewerkschaft GdP wies darauf hin, dass Asylbewerber häufig vor geplanten Abschiebungen gewarnt werden. Dies deutet auf Schwächen im Sicherheitsapparat und in der Geheimhaltung von Abschiebungen hin, die das Scheitern vieler Abschiebungsversuche erklären könnten.

Justiz und Rechtsprechung

Auch die Justiz trägt eine gewisse Mitverantwortung, insbesondere in Fällen, in denen Abschiebungen durch Klagen und Gerichtsverfahren verzögert oder verhindert werden. Während das Recht auf einen fairen Prozess ein Grundpfeiler des Rechtsstaates ist, stellen die zahlreichen Klagen und einstweiligen Verfügungen eine erhebliche Herausforderung für die Abschiebepraxis dar. In Fällen wie dem von Issa al-Hassan, bei dem eine Klage gegen den Abschiebebescheid erhoben wurde, stellt sich die Frage, ob die gerichtlichen Verfahren effizient und zügig genug abgewickelt werden, um unnötige Verzögerungen zu vermeiden.

Ein kollektives Versagen

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Verantwortung für das Scheitern der Abschiebeinitiative nicht auf eine einzelne Person oder Institution reduziert werden kann. Es handelt sich vielmehr um ein kollektives Versagen auf mehreren Ebenen: Politische Führung, gesetzgeberische Maßnahmen, administrative Umsetzung und operative Durchführung sind allesamt Bereiche, in denen Verbesserungen dringend erforderlich sind. Die Bundesregierung, die Bundesländer, die kommunalen Behörden, die Polizei und die Justiz müssen enger zusammenarbeiten und ihre Anstrengungen intensivieren, um die Abschiebepraxis in Deutschland zu verbessern. Nur durch ein koordiniertes und konsequentes Vorgehen kann das Versprechen, „in großem Stil abzuschieben“, tatsächlich eingelöst werden.

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