Zahlen, Fakten und Gründe
Im Herbst 2023 verkündete Bundeskanzler Olaf Scholz (66, SPD) eine weitreichende Wende in der deutschen Abschiebepolitik. Sein Ziel war es, deutlich mehr abgelehnte Asylbewerber schneller und effizienter abzuschieben. „Endlich im großen Stil“, so lautete das ambitionierte Versprechen. Doch die Realität zeigt ein anderes Bild: Trotz steigender Abschiebezahlen ist von einer umfassenden Wende keine Rede.
Abschiebezahlen im Detail
Zwischen Januar und April 2024 wurden 6316 Menschen abgeschoben. Dies bedeutet zwar eine Steigerung um 30 Prozent im Vergleich zum gleichen Zeitraum des Vorjahres, in dem 4792 Personen abgeschoben wurden, doch der Gesamtüberblick zeigt, dass diese Zahlen weit hinter den Erwartungen zurückbleiben. Im Jahr 2023 waren insgesamt 242.600 Menschen in Deutschland ausreisepflichtig. Allerdings hatten 80 Prozent dieser Personen (193.972) eine Duldung, die ihre Abschiebung verhinderte. Duldungen werden meist aufgrund fehlender Dokumente oder ungeklärter Identitäten erteilt.
Nix als heiße Luft? Bundeskanzler Olaf Scholz, SPD
Gründe für das Scheitern von Abschiebungen
Professor Daniel Thym von der Universität Konstanz benennt mehrere Hauptgründe, warum Abschiebungen häufig scheitern:
Herkunftsländer nehmen ihre Staatsangehörigen nicht zurück.
Fehlende Kooperation der Betroffenen, insbesondere durch das Fehlen von Papieren und die Verweigerung, bei der Identitätsklärung zu helfen.
Überforderung der deutschen Behörden.
Thym erklärt: „Unsere Regeln sind besonders streng, beispielsweise darf Haft nur in Ausnahmefällen angeordnet werden.“
Duldungen: Die statistischen Fakten
Die häufigsten Gründe für die Erteilung von Duldungen im Jahr 2023 waren fehlende Reisedokumente (45.566 Fälle) und ungeklärte Identitäten (25.408 Fälle). Dies zeigt, dass administrative Hürden maßgeblich zur hohen Zahl der Duldungen beitragen. Migrationsforscher Herbert Brücker vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) weist darauf hin: „Nach deutschem Recht sind Geduldete ebenfalls ausreisepflichtig.“
Abkommen mit Drittstaaten: Eine mögliche Lösung?
Andere Länder haben Abkommen mit Drittstaaten geschlossen, um Asylverfahren auszulagern. Großbritannien schickt Asylbewerber während ihres Verfahrens nach Ruanda, wo sie bleiben sollen, falls ihnen Asyl gewährt wird. Italien bringt Flüchtlinge, die im Mittelmeer aufgegriffen werden, in Aufnahmezentren nach Albanien, bis über ihre Asylanträge entschieden ist.
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Expertenmeinungen zu Drittstaaten-Abkommen
Herbert Brücker hält solche Abkommen für Deutschland für unwahrscheinlich: „Ruanda ist eine Militärdiktatur mit schweren Menschenrechtsverletzungen. Abschiebungen dorthin würden vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte oder anderen Gerichten kaum Bestand haben.“ Auch das italienische Modell sei aufgrund der geographischen Unterschiede nicht auf Deutschland übertragbar.
Anders sieht dies Professor Daniel Thym: „Ein Drittstaaten-Modell ist zwar anspruchsvoll, aber möglich. Es erfordert jedoch eine Änderung des europäischen Asylrechts, das derzeit Abschiebungen nur in Länder erlaubt, zu denen die Menschen eine Verbindung haben.“
Die Langwierigkeit von Abschiebeverfahren
Ein weiteres Problem ist die ineffiziente Ausstattung der Behörden. Professor Thym kritisiert: „Ein entscheidender Faktor, warum Abschiebeverfahren in Deutschland so lange dauern, ist die schlechte Ausstattung der Behörden. Digitalisierung und ausreichendes Personal wurden jahrelang vernachlässigt.“
Die ernüchternde Realität
Die Ampelregierung bemüht sich, neue Abkommen zu schließen und die Abschiebepraxis zu verbessern. Dennoch kommen weiterhin mehr Menschen irregulär nach Deutschland, als abgeschoben werden können. Die Umsetzung der von Olaf Scholz angekündigten Abschiebe-Wende ist daher eine große Herausforderung. Es bedarf nicht nur politischer Willenskraft, sondern auch tiefgreifender struktureller und rechtlicher Reformen.
Die von Bundeskanzler Scholz angekündigte Abschiebe-Wende bleibt bisher hinter den Erwartungen zurück. Trotz eines Anstiegs der Abschiebezahlen um 30 Prozent in den ersten vier Monaten des Jahres 2024, stehen die Zahlen in keinem Verhältnis zur Gesamtzahl der ausreisepflichtigen Personen. Administrative Hürden, mangelnde Kooperation der Herkunftsländer und eine überforderte Bürokratie sind wesentliche Gründe für das Scheitern. Ob Drittstaaten-Abkommen eine Lösung bieten könnten, bleibt unter Experten umstritten. Fest steht jedoch: Ohne umfassende Reformen und eine bessere Ausstattung der Behörden wird die Abschiebeproblematik auch in Zukunft bestehen bleiben.