Die Diskussion um die Wiedereinführung der Wehrpflicht in Deutschland ist wieder entbrannt. Verteidigungsminister Boris Pistorius hat einen Plan vorgestellt, der die seit 2011 ausgesetzte Wehrpflicht neu beleben könnte. Hier eine umfassende Übersicht über die aktuelle Debatte, die geplanten Maßnahmen und die Hintergründe.
Die Ausgangslage
Verteidigungsminister Boris Pistorius hat den Verteidigungsausschuss des Bundestags über seine Pläne zur Wiedereinführung der Wehrpflicht informiert. Er schlägt vor, die Erfassung von Wehrfähigen, die vor 13 Jahren ausgesetzt wurde, wieder aufzubauen. Die vorläufigen Schritte sollen noch in dieser Legislaturperiode umgesetzt werden. Am Nachmittag will Pistorius seine Pläne der Öffentlichkeit in einer Pressekonferenz vorstellen.
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Wie soll die Auswahl der Rekruten funktionieren?
Pistorius‘ Plan sieht vor, dass junge Männer einen Fragebogen ausfüllen müssen, um ihre Bereitschaft und Fähigkeit zum Dienst anzugeben. Diejenigen, die ausgewählt werden, sollen sich einer Musterung unterziehen. Um diese Maßnahmen umzusetzen, müsste das Wehrpflichtgesetz erweitert werden. Pistorius plant, zusätzliche Kapazitäten für Musterungen zu schaffen.
Verpflichtungen und Unterschiede zwischen den Geschlechtern
Gemäß dem neuen Modell wären Männer verpflichtet, den Fragebogen zu beantworten und zur Musterung zu gehen, wenn sie eingeladen werden. Frauen würden den Fragebogen zwar auch erhalten, wären jedoch nicht verpflichtet, ihn zu beantworten. Eine Änderung des Grundgesetzes wäre notwendig, um eine Dienstpflicht auch für Frauen einzuführen. Artikel 12a des Grundgesetzes besagt derzeit: „Männer können vom vollendeten achtzehnten Lebensjahr an zum Dienst in den Streitkräften, im Bundesgrenzschutz oder in einem Zivilschutzverband verpflichtet werden.“
Umfang und Dauer des Dienstes
Militärplaner gehen davon aus, dass jährlich etwa 400.000 Menschen den Fragebogen ausfüllen müssten. Etwa ein Viertel davon könnte Interesse am Wehrdienst bekunden. Es ist vorgesehen, 40.000 Kandidaten zur Musterung zu bestellen, wobei der Dienst sechs oder zwölf Monate dauern kann. Aktuell verfügt die Bundeswehr über Kapazitäten zur Ausbildung von 5.000 bis 7.000 Rekruten, diese sollen jedoch erweitert werden.
Gründe für die erneute Debatte
Die Personalnot der Bundeswehr hat sich stetig verschlechtert. Pistorius ließ aufgrund des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine Modelle einer Dienstpflicht prüfen. Er betonte, Deutschland müsse „kriegstüchtig“ werden, um zusammen mit den NATO-Verbündeten glaubhaft abschrecken zu können. Beim Tag der Bundeswehr erklärte er: „Es ist notwendig, auch durch die richtigen Begriffe deutlich zu machen, worum es geht.“ Ziel sei es, einen Verteidigungskrieg führen zu können, wenn Deutschland angegriffen werde.
Aktuelle Personallage der Bundeswehr
Der Vorsitzende des Bundeswehrverbands, Oberst André Wüstner, sagte, dass der Personalbedarf der Bundeswehr weit über der politisch gesetzten Zielgröße von 203.300 Soldaten liege. Das Fähigkeitsprofil der Bundeswehr aus dem Jahr 2018 sehe rechnerisch bereits mehr als 240.000 Soldaten vor. Aufgrund zusätzlicher politischer Aufträge und zunehmender NATO-Verpflichtungen dürfte die Zahl aktuell weit darüber liegen. Trotz einer Personaloffensive sank die Zahl der Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr im vergangenen Jahr auf 181.500.
Bisherige Regelung der Wehrpflicht
Die Wehrpflicht wurde 2011 unter Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg nach 55 Jahren ausgesetzt. Dies bedeutete praktisch die Abschaffung von Wehr- und Zivildienst. Gleichzeitig wurden alle Strukturen für eine Wehrpflicht aufgelöst. Das Wehrpflichtgesetz sieht jedoch vor, dass die Wehrpflicht für Männer wieder auflebt, wenn der Bundestag den Spannungs- und Verteidigungsfall feststellt. Allerdings wurden nach 2011 keine konkreten Maßnahmen zur Vorbereitung auf eine solche Situation getroffen.
Gegenargumente zur Wehrpflicht
In der Debatte um den Wehrdienst steht auch die verfassungsrechtlich geforderte Wehrgerechtigkeit im Mittelpunkt. Die Bundeszentrale für politische Bildung schreibt, dass es seit der Gründung der Bundeswehr immer mehr wehrfähige Männer gab, als für die Armee benötigt wurden. Dies wurde oft als ungerecht empfunden. Der Staat kennt auch andere verpflichtende Dienste, wie bei Schöffen oder der Pflichtfeuerwehr, wenn eine Freiwillige Feuerwehr nicht zustande kommt.
Boris Pistorius ist seit dem 19. Januar 2023 Bundesminister der Verteidigung
Reaktionen auf Pistorius‘ Pläne
Der Vorsitzende des Bundeswehrverbands, Wüstner, forderte bereits vor der Bekanntgabe der Pläne entschlossene Schritte für die Wiedereinführung des Wehrdienstes. Er sagte: „In den kommenden Tagen wird sich zeigen, bei wem seit Ausrufung der Zeitenwende zumindest verteidigungspolitisch tatsächlich eine Erkenntniswende eingetreten ist.“
Positionen innerhalb der Ampelkoalition
Innerhalb der Ampelkoalition gibt es unterschiedliche Meinungen zur Wiedereinführung der Wehrpflicht. SPD-Chef Lars Klingbeil sprach sich für eine Rekrutierung auf freiwilliger Basis aus: „Ich finde, wir sollten es freiwillig probieren, indem wir die Bundeswehr noch attraktiver machen.“ SPD-Vorsitzende Saskia Esken betonte die Bedeutung der Freiwilligkeit für die Akzeptanz der Demokratie und das Engagement bei der Bundeswehr. Der Grünen-Vorsitzende Omid Nouripour sagte: „Ich glaube nicht, dass die Wehrpflicht gebraucht wird.“ Der neue Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Marcus Faber von der FDP, begrüßte die Vorlage des Ministers, plädierte jedoch ebenfalls für Freiwilligkeit: „Der Truppe ist mehr gedient, wenn sie Leute bekommt, die Lust auf den Job haben.“
Die Debatte um die Wehrpflicht bleibt kontrovers und wird sicherlich weitergeführt, während die Pläne von Verteidigungsminister Pistorius konkretisiert und in den politischen Gremien diskutiert werden.