Türkei als neuer Gasversorger Europas

September 19, 2024
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Chance auf sinkende Energiepreise?

Die Türkei hat ehrgeizige Pläne: Vom reinen Importeur will das Land in den kommenden Jahren zu einem bedeutenden Gaslieferanten für Europa aufsteigen. Durch umfangreiche LNG-Lieferverträge mit Energieunternehmen wie Total, Shell und Exxon strebt Ankara eine bedeutende Rolle auf dem globalen Gasmarkt an. Diese strategische Neuausrichtung könnte die Versorgungssicherheit in Europa erhöhen und langfristig die Preise senken.

Neue LNG-Deals: Ein Wandel in der Gasstrategie

Um die Abhängigkeit von russischem Gas zu reduzieren, hat die staatliche türkische Gasgesellschaft Botas kürzlich mehrere milliardenschwere Flüssiggas-Verträge abgeschlossen. So unterzeichnete Botas erst gestern einen Vertrag mit dem französischen Ölkonzern Total über die Lieferung von 1,2 Millionen Tonnen LNG über einen Zeitraum von zehn Jahren. Die ersten Lieferungen sollen 2027 beginnen und sowohl über US-Häfen als auch über Terminals in der Türkei und Europa abgewickelt werden. „Wir können diese Mischung nun Kunden in Europa anbieten, besonders an Länder in Südosteuropa, die Gas brauchen“, erklärte der türkische Energieminister Alparslan Bayraktar anlässlich des Deals mit Total.

Bereits Anfang September hatte Botas einen weiteren Zehnjahresvertrag mit dem britisch-niederländischen Energiekonzern Shell über die Lieferung von 2,9 Millionen Tonnen LNG unterzeichnet. Zudem laufen Verhandlungen mit ExxonMobil über die Lieferung von bis zu 2,5 Millionen Tonnen LNG jährlich. Diese Deals markieren einen bedeutenden Kurswechsel: Erstmals plant die Türkei, Gas nicht nur für den eigenen Bedarf zu importieren, sondern auch in großen Mengen nach Europa zu exportieren.

Unabhängigkeit vom Kreml: Strategische Neuausrichtung

Die Türkei hat ihre Gasversorgung bislang hauptsächlich durch Importe aus Aserbaidschan, Iran und vor allem Russland gedeckt. Im vergangenen Jahr stammten mehr als 40 Prozent des türkischen Gasverbrauchs aus russischen Lieferungen. Mit den neuen LNG-Deals möchte Ankara seine Abhängigkeit von Moskau reduzieren und gleichzeitig seine Verhandlungsposition stärken, wenn die bestehenden Verträge mit Russland und dem Iran in den Jahren 2025 und 2026 auslaufen. Bayraktar betonte die Bedeutung dieser neuen Ausrichtung: „Wir haben die ganze Zeit weiter Gas aus Russland bezogen. Nun wollen wir uns unabhängiger aufstellen und neue Märkte erschließen.“

Ausbau der Infrastruktur und steigende Eigenproduktion

Um das geplante Exportvolumen auch tatsächlich umsetzen zu können, investiert die Türkei massiv in den Ausbau ihrer LNG-Infrastruktur. Aktuell deckt das Land rund 30 Prozent seiner Gasimporte mit Flüssiggas – vor zehn Jahren waren es noch 15 Prozent. Neben der verbesserten LNG-Logistik setzt Ankara auch auf die Erschließung neuer Gasvorkommen. Im Schwarzen Meer wurde 2020 das größte Gasvorkommen in der Geschichte des Landes entdeckt, was die Türkei mittelfristig ebenfalls in die Lage versetzen soll, Gasüberschüsse zu exportieren.

Die Bedeutung für Europa

Der Zeitpunkt der neuen LNG-Deals könnte kaum günstiger sein: Die Europäische Union strebt an, bis 2027 vollständig unabhängig von russischen Energieimporten zu werden. Genau dann sollen die neuen Gaslieferungen aus der Türkei starten. Mit dem Aufbau einer neuen Versorgungsquelle könnte die Türkei somit nicht nur ihre eigene Energiesicherheit stärken, sondern auch einen wichtigen Beitrag zur Versorgungssicherheit Europas leisten. Länder wie Bulgarien, Rumänien, Ungarn und die Republik Moldau haben bereits Interesse an türkischem Gas signalisiert.

Fazit: Neue Perspektiven für die europäische Energieversorgung

Durch die ambitionierten Pläne, LNG aus verschiedenen Quellen zu mischen und nach Europa zu exportieren, könnte sich die Türkei von einem reinen Transitland zu einem bedeutenden Gaslieferanten entwickeln. Das Potenzial für mittelfristig sinkende Gaspreise und eine erhöhte Versorgungssicherheit in Europa ist gegeben. Ob sich diese Hoffnungen jedoch vollständig erfüllen, wird von der weiteren geopolitischen Entwicklung und der Umsetzung der geplanten Infrastrukturprojekte abhängen. Klar ist: Die Türkei will in den kommenden Jahren eine wichtige Rolle auf dem europäischen Energiemarkt spielen.

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